Eine Handvoll Fragen an: Dr. Michael Blume
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Vorab zu Ihrer Person: Wer sind Sie und was machen Sie beruflich?
Dr. Michael Blume als Wissenschaftler auf Twitter (@BlumeEvolution)
Dr. Michael Blume als Landes-Beauftragter BW gegen Antisemitismus auf Twitter (@beauftragtgg)
Wissenschaftsblog "Natur des Glaubens" von Dr. Michael Blume
Frage 1: Was bedeutet der Klimawandel für Sie persönlich?
Als Wissenschaftler, Ehemann in einer christlich-islamischen Familie und Vater von 3 Kindern hat mich die Klimakrise schon länger umgetrieben. Aber erst als ich ein humanitäres Projekt in Kurdistan-Irak geleitet habe und die klimatischen wie auch politisch-extremistischen Folgen mit eigenen Augen gesehen habe, habe ich die Auswirkungen wirklich begriffen. Die Länder brennen, große Teile des Irak südlich der Shingal-Berge werden in wenigen Jahrzehnten nicht mehr bewohnbar sein. Die Menschen kämpfen um die letzten Wasserquellen, größere Gruppen wenden sich dabei gegen kleinere. Die radikal-islamischen Bewegungen entlang des eurasischen Gürtels von Nordafrika bis Afghanistan rekrutieren ihre Anhänger vor allem aus den Söhnen entwurzelter Familien, für die es kaum noch friedliche Entwicklungschancen gibt. Am Gedenktag für den Genozid am ezidischen Volk habe ich den eskalierenden Vorgang ausdrücklich "Hitzemord" genannt und kämpfe darum, dass er endlich wahrgenommen wird. Fossile Rohstoffe und Klimakrise radikalisieren schon heute Menschen zu Mördern. Und wir finanzieren durch Öl- und Gaskäufe die Waffen und beschleunigen die Klimakrise zusätzlich.
Frage 2: Wie engagieren Sie sich für das Klima bzw. gegen den Klimawandel?
Noch während des Einsatzes im Irak habe ich ein erstes Buch über "Öl- und Glaubenskriege" geschrieben, das den sogenannten Ressourcenfluch erklärt: Vordemokratische Staaten mit Erdgas und Erdöl werden zu autoritären "Rentier States" mit Verschwörungsmythen, Unterdrückung von Frauen und Oppositionellen sowie Gewalt nach innen und außen. Das Erschütternde: Die Rentierstaatstheorie gilt seit den 1980er Jahren als gut etabliert und galt in meinem Studium der Politik- und Religionswissenschaft in Tübingen schon als "ausgeforscht". Aber sie schaffte nie den Sprung in die Öffentlichkeit oder gar in die Politik. Und leider klingt der politikwissenschaftliche Begriff im Deutschen auch noch wie ein Huftier, Rentier, und so lernte ich die Reaktanz kennen: Menschen wollen die Gefahr lieber weglachen als sich ihr stellen. 2017 versuchte ich es noch einmal mit "Islam in der Krise", das es sogar kurzfristig in die SPIEGEL-Bestsellerliste schaffte. Vor allem muslimische Menschen reagierten auf den wissenschaftlich-kritischen, aber wertschätzenden Blick auf ihre Herkunftsregion sehr positiv. Privat sind meine Frau und ich längst komplett auf Elektromobilität umgestiegen und ich wurde 2019 endlich auch Vegetarier. Auf rechten Blogs wie der sogenannten "Achse des Guten" wurde ich noch im Januar 2022 namentlich verspottet, weil ich ständig vor den politischen und klimatischen Folgen von fossilen Energien warnte.
Nun ja, wenigstens das ist jetzt vorbei. Ich habe nach der Invasion Russlands in die Ukraine "Öl- und Glaubenskriege" als pdf kostenfrei auf meinem Blog gestellt. Einige Tausend weitere Leserinnen und Leser haben es inzwischen abgerufen. Wir stecken schon mitten in der Klimakrise, aber dennoch können wir immer noch vieles tun. Beispielsweise informiere ich an Religionen Interessierte, dass der gesamte eurasische Gürtel schon jetzt von der Klimakrise betroffen ist - jene Region, in der alle heutigen Weltreligionen entstanden. Und ich informiere "Freunde Israels", die öfter eher konservativ eingestellt sind, dass auch der Staat Israel die klimatischen und militärischen Gefahren durch die Klimakrise offiziell anerkannt hat und etwa mit Jordanien zu Wasser und Solarenergie zusammenarbeitet. Denn paradoxerweise verschließen ja bisher auch jene reaktant die Augen vor dem Klimawandel, die sonst sehr stark auf Sicherheitsthemen orientiert sind. Sie wollen gerne wissen, wie man radikale Gruppen und Regime wie den Iran besiegt - aber nicht, dass wir selbst durch unsere Wirtschaftsweise diese Radikalisierungen befeuern.
Frage 3: Was und wie würden Sie gerne lernen, um Ihre Zukunft gestalten zu können?
Mich bewegt die Frage, ob und wie wir die Reaktanz - die instinktiven Widerstände von Menschen gegen unliebsame Informationen und Veränderungsdruck - besser überwinden können. Ich verstehe psychologisch, warum gerade auch das Wissen um die Klimakrise von vielen abgeblockt wird. Aber es fehlen Gegenstrategien. Beispielsweise ist ja gut bekannt, dass sich Medien vor allem auf junge und zu Recht zornige, gerne auch verzweifelte Frauen konzentrieren, das bringt Emotion und Quote. Andererseits fällt die Reaktanz geringer aus, wenn auch mittelalte Männer wie ich, die ihren Wehrdienst geleistet haben und Christdemokraten sind, die Gefahren benennen und zum Beispiel auf Fleisch verzichten. Wir weißen Männer sind aber wiederum nicht medial "relatable", keine Aufreger - gerade "weil" wir weniger Reaktanz auslösen. Ich verstehe das Paradox und versuche, mich dennoch nicht resigniert zurück zu ziehen.
In meinem letzten Buch, dem Abschluss einer Religionen-Trilogie mit dem Titel "Rückzug oder Kreuzzug?" habe ich die Prognose veröffentlicht, dass sich weite Regionen der Erde bereits entvölkern und es für Staaten wie Afghanistan, Iran oder auch Russland nur noch wenig Hoffnung gibt. Auf der anderen Seite bilden sich auf allen Kontinenten auch Zuzugsregionen heraus, die ich "Archen" nenne und in die die Menschen fliehen. Mein nächstes Buch erkundet die "Arche Alpenraum" und ich hoffe, dass sich auch einige positive Bilder zu Bergen und Tieren sowie konkrete Empfehlungen ergeben werden. Ich weigere mich, entweder die Realität zu verleugnen oder jede Hoffnung für die Zukunft meiner Kinder aufzugeben.
Frage 4: Wo befindet sich Ihr Lieblings-Lernort und warum können Sie dort so gut lernen?
Seitdem ich als Kind im Krankenhaus das Lesen lernte, sind Bücher für mich die Welt jenseits der Schmerzen. Ein arabisches Sprichwort sagt: "Bücher sind wie ein Garten in der Tasche." Mindestens genauso wichtig sind aber meine Familie und mein Team im Staatsministerium. Es vergeht kein Tag, in dem ich nichts von ihnen lerne.
Während der Pandemie habe ich auch von unserer Hündin viel gelernt, bin weniger theoretisch geworden. Die Liebe zu unserem Planeten funktioniert nicht abstrakt, sondern braucht konkrete Landschaften. Danke dafür, Mayla! Ruhe und Hoffnung finde ich schließlich immer wieder im stillen Gebet.
Frage 5: Bitte erzählen Sie uns von Ihrem persönlichen Zukunftsbild: Wie sieht Ihr Alltag 2030 aus?
Wenn ich Glück habe, leben in 2030 die beiden großen Kinder bereits in festen Beziehungen, vielleicht sind gar Enkelkinder in Aussicht. Wir leben hoffentlich immer noch interreligiös und engagiert und sind uns einig, dass Wissenschaft zwar nicht rechtzeitig gehört wurde, aber dennoch nicht umsonst war. Vielleicht habe ich es sogar endlich geschafft, nach allen Sachbüchern endlich eine kleine Fantasy-Reihe zu schreiben. Denn die schönen Seiten des Lebens - die Fantasie, das Spiel, das Miteinander, die Künste - werden vielleicht sogar an Bedeutung gewinnen, wenn immer größere Regionen unserer Welt brennen. Als ich einmal von der jüdischen Gemeinde in Freiburg gebeten wurde, in einer Ansprache in der Synagoge zu sagen, was denn alle Weltreligionen gemeinsam hätten, sagte ich: Das Dennoch. Daran möchte ich auch in 2030 noch gerne glauben.
Die Interviewfragen stellte Kathrin Rosi Würtz im März 2022.