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Eine Handvoll Fragen an: Ha Thran

Vorab zu Ihrer Person: Wer sind Sie und was machen Sie beruflich?

Ha Thran: Mein Name ist Ha Thran und ich komme aus Vietnam. Seit vier Jahren studiere ich Philosophie an der Universität Bonn. Ich bin 27 Jahre alt und wollte gerne die europäische Kultur kennenlernen, die so ganz andere Denkvoraussetzungen hat als die Asiatische. Auch suche ich die Begegnung mit dem Christentum, das für mich eine unbekannte Religion ist. Immer wieder stelle ich fest, dass unsere Weltdeutung eine Andere ist, als die christliche Weltdeutung. In einer Großfamilie aufgewachsen, musste ich erst lernen was Individualität in der europäischen Kultur bedeuten kann. So versuche ich zu erspüren, was Glücklich sein in dieser Gesellschaft bedeutet: Leben im Einklang mit dem digitalen Fortschritt. Die Natur und was sie zu schenken vermag, ist vielen Bewohnern nicht einmal bekannt und wenn der Stromstecker einmal gezogen wird, bricht gleich die ganze Welt zusammen. Die Urbanität des europäischen Menschen in der Postmoderne besteht im Genuss der Freiheit und der Individualität, nicht aber in der Suche nach dem existentiellen Glück und dem Leben in Einklang mit der Natur. Vor meinem Studium in Deutschland habe ich als Flugbegleiterin gearbeitet und wollte die Welt einmal anders verstehen lernen.

Frage 1: Was bedeutet der Klimawandel für Sie persönlich?

Ha Thran: Da sehe ich zunächst die Zerstörungen der Welt. Wenn ich aus dem Fenster des Flugzeugs blicke, sehe ich die Narben auf der Erde, die Bomben in manchen Gebieten angerichtet haben, die auch Jahre und Jahrzehnte danach den Erdboden wie einen Schweizer Käse aussehen lassen. Auch die großen Städte, die unter einer Smog-Schicht in gelblich-brauner Farbe ihren Schleier über sich decken. Gebirge, auf denen immer weniger Schnee und Gletschereis zu sehen ist. Klimawandel hat eben doch viel mit dem Umgang mit der Schöpfung zu tun. Ich habe sicherlich die fünf Jahre, die ich hier bin gebraucht, um in der europäischen Kultur anzukommen. Ich schätze die Möglichkeiten, sich zu engagieren. Mein Traum wäre es in der Heimat auch Naturschutzgebiete einzurichten, damit auch meine Kinder die Vielfalt der Arten, die Wälder, die Wildnis der Gebirge erfahren können, die uns das Wasser schenken, das wir im Tal brauchen um zu überleben. Plantagen haben dort nichts zu suchen. Was man der Natur entnimmt, muss man ihr auch wieder zurückgeben, sonst ist das Glück in Gefahr.

Frage 2: Wie engagieren Sie sich für das Klima bzw. gegen den Klimawandel?

Ha Thran: Was meint ihr mit Wandel? Geht es hier um den Lebenswandel, den Wandel in Mind, oder darum, die negativen Strömungen in der Welt in positive Strömungen zu verwandeln? Das bedeutet aber auch die Überlegung, wollen wir als Kollektivgesellschaft oder als Individualgesellschaft leben, als nationale oder als globale Gesellschaft leben? Beides entbindet uns nicht von der Verantwortung für die Schöpfung, für eine bessere Welt im Glück. Wer die Natur missachtet, ist dem Tod geweiht. Wer für Balance sorgt, hat das Glück gefunden. In Deutschland macht man das Licht an, wenn es dunkel wird und raubt sich damit seinen Schlaf. Auch das habe ich vorher nicht gekannt. Auf meinem Dorf gibt es nur zwei Stunden Strom am Tag. In diesen Stunden muss alles das erledigt sein, was vom Strom abhängig ist. Es wird gekocht und gewaschen, das Wasser wird zum Trinken aufbereitet. Maschinen in der Werkstatt laufen. Der Rest des Tages ist Handarbeit, im Garten, für die Kleidung, für die Kinder. Ich kann mich erinnern, dass die Frauen im Dorf sich einmal einem Großgrundbesitzer widersetzt haben, als er den Wald abholzen wollte, der unser Dorf vor Schlammlawinen in der Regenzeit schützt. Sie haben die Arbeit auf den Reisfeldern niedergelegt, so dass der Reis nicht pünktlich geerntet war und in dem Jahr nicht verkauft werden konnte. Da haben auch Peitschenhiebe nicht geholfen. Lerne einen Baum zu umarmen, dann wird er dich schützen! In Deutschland nennt man das „Waldbaden“. Ich habe gefragt, ob das eine Art Gebet oder Meditation ist, was die Leute da in Bonn machen oder ob das wirklich Ausdruck der Achtung der Natur ist. Haben wir vielleicht auch eine andere Deutung von Glück?

Frage 3: Was und wie würden Sie gerne lernen, um Ihre Zukunft gestalten zu können?

Ha Thran: Ich wurde gerne lernen, wie man ein Naturschutzgebiet anlegt, wie man vom Buddhismus in der modernen Gesellschaft ohne Ablösung vom Glück sprechen kann. Ich möchte Vorbild sein für ein besseres Leben, handeln wie ein Christ und leben wie ein Buddhist. Im Einigwerden mit dem Leben möchte ich im Einklang mit Familie und Natur leben. Als Fremde ist es schwer in Kontakt zu Lebensweisen der Europäer zu kommen. Das ist wohl am ehesten bei den Christen möglich, da sie in der Regel noch latent-kollektiv denken. Individualisten haben keine Wahrnehmung für mich als Gast. Elite geschieht immer auf dem Rücken anderer Menschen, Familie prägt dein Schicksal.

Frage 4: Wo befindet sich Ihr Lieblings-Lernort und warum können Sie dort so gut lernen?

Ha Thran: Eigentlich lerne ich am liebsten am Rhein: Das ruhige fließen, die Sonne, Frieden, das brauche ich zum Lernen; Prüfungsstress ist da kontraproduktiv. Die Bibliothek ist meine Heimat geworden, aber ich finde es schade, dass man dort nicht diskutieren und sprechen darf. Selbst an der Universität bei den Seminaren, wird man in kleine Gruppen aufgeteilt, damit wird auch der Horizont künstlich verkleinert. Man lernt nicht, sich in einer großen Gruppe zu verteidigen und auch einmal eine andere Meinung als der Mainstream zu vertreten. Globales Denken kann man nur lernen, wenn man Streitkulturen in Mind entwickelt. Nur so kann Streit in eine positive Richtung gelenkt werden.

Frage 5: Bitte erzählen Sie uns von Ihrem persönlichen Zukunftsbild: Wie sieht Ihr Alltag 2030 aus?

Ha Thran: Im Jahr 2030 werde ich nach Vietnam zurückgekehrt sein und Lehrerin an der Schule meines Dorfes sein, wie es mein Onkel verlangt oder einen deutschen Mann geheiratet haben und in Europa bleiben. Ob der Mann mir nach Vietnam folgt, halte ich für unwahrscheinlich, ob mein Onkel ihn in die Familie aufnimmt, kann ich nicht sagen und habe ehrlich gesagt Angst davor. Hoffentlich hat er keinen Mann für mich ausgesucht.

Die Interviewfragen stellte Ute Giesen im März 2022.